Es gibt heute eine ganze Generation von Digital Natives – Menschen, die das Leben ohne Internet in der Hosentasche nie kennengelernt haben. Man könnte also davon ausgehen, dass das handschriftliche Schreiben mit Stift und echtem Papier mittlerweile ausgestorben ist. Aber tatsächlich zeigt der Erfolg von paper republic, dass das nicht der Fall ist.
Jérôme Bacquias – Gründer und CEO von paper republic – über das Comeback der Handschrift in Zeiten der digitalen Ablenkungen.

Warum kehren so viele Menschen zum Schreiben mit Papier und Stift zurück?
Wann immer eine neue Technologie auf der Welt dominiert, gibt es auch eine Gegenbewegung. Neue Technologie ersetzt ältere. Das bedeutet jedoch nur selten eine uneingeschränkte Verbesserung. Es gibt immer Kompromisse. Einige liebgewonnene Aspekte gehen im Austausch gegen Bequemlichkeit und Preissenkungen zwingend verloren.
Aus dem Grund sind Holzkamine trotz Zentralheizungen nach wie vor heiß begehrt. Und Schallplatten wieder auf Platz eins der meistverkauften physischen Tonträger, auch wenn man Musik mittlerweile ganz bequem streamen kann.
Und genau deshalb nutzen auch viele, viele Menschen trotz Laptops und Smartphones Stift und Papier, um sich Notizen zu machen oder Tagebuch zu schreiben. Allen Vorhersagen über den Niedergang der Handschrift zum Trotz boomt der Markt für Notizbücher und Schreibblöcke.

Einige Schulen streichen das Schreiben von Hand aus dem Lehrplan, stattdessen tippen und swipen viele Kinder. Warum ist die Handschrift dennoch relevant?
Mit Sicherheit gibt es mittlerweile weniger Menschen, die jeden Tag per Hand schreiben, als beispielsweise noch vor 30 Jahren. Aber die, die es tun, schreiben auf Papier mehr, besser oder durchdachter als auf der Tastatur.
Eine der ungewollten Nebenwirkungen von digitalen Tools sind Ablenkungen. Computer und Smartphones haben jede Menge wunderbare Vorteile. Aber wir hätten niemals vorhersehen können, wie sehr wir durch sie abgelenkt werden. Wir sind einer ständigen Flut von Pings, Pop-ups und Benachrichtigungen ausgesetzt.
Und ich glaube trotzdem nicht, dass die Liebe fürs handschriftliche Schreiben in Notizbüchern gleichzeitig eine Ablehnung alles Digitalen ist. Das manuelle Schreiben hat einfach eine gewisse Intimität und Beständigkeit, welche die digitale Variante nicht erreicht.
Um noch mal zum Beispiel von Schallplatte und Streaming zurückzukommen: Auch, wenn digitale Musik ohne Zweifel bequemer ist, ist sie irgendwie schwerer greifbar. Anders als eine Schallplattensammlung kann man seine Playlist nicht seinen Kindern vererben. Man kann nicht durch das Plattenregal stöbern, eine LP vorziehen und das kunstvolle Cover bewundern.

Also sehnen sich die Menschen in unserer digital dominierten Welt einfach nach etwas Handfestem?
Ich denke, ja. Es geht gar nicht darum, dass die Leute das Schreiben per Hand besonders mögen – sondern sie lieben das, was entsteht, wenn sie ihre Worte zu Papier bringen. Manuelles Schreiben erzwingt eine gewisse Bedachtsamkeit und Ablenkungsfreiheit. Viele Menschen können so besonders gut und kreativ arbeiten.
Auch die Einschränkungen von Papier und Stift helfen bei gewissen Dingen. Digitales Schreiben ist grenzenlos. Und in der digitalen Welt ist die schiere Masse an Möglichkeiten zum Problem der aktuellen Zeit geworden. Wer hat nicht schon mal stundenlang bei Netflix durch die Filme und Serien gescrollt und konnte sich nicht entscheiden? Die Zunahme von KI-generierten Inhalten wird das Problem nur noch verschlimmern.
Vielen fehlen also die Grenzen – ein Rahmen, an dem man sich orientieren kann. Aus all diesen Gründen werden Stift und Papier für viele Menschen ein wichtiger Teil ihres Lebens bleiben.

Es gibt einen neuen Trend aus Südkorea – Pilsa – bei dem Menschen ganze Buchpassagen handschriftlich in ihr Notizbuch abschreiben. Ganz offensichtlich haben Stift und Papier also noch einen gewissen Reiz.
Es gibt ganz eindeutig einen physischen Aspekt des Schreibens mit Stift und Papier, der bei digitalen Geräten einfach fehlt. Natürlich ist es super, dass wir Text ausschneiden und kopieren, Schriftarten ändern, unsere Arbeit in der Cloud sichern und die Rechtschreibprüfung laufen lassen können.
Wie jeder andere CEO auch, nutze ich meinen Laptop und mein Smartphone jeden Tag. Per Hand in mein Notizbuch zu schreiben, hat aber offensichtlich noch andere Vorzüge, die beim digitalen Schreiben fehlen.
Wir haben Platz für beides. Beides sind unterschiedliche Schreiberfahrungen für unterschiedliche Zwecke. Meiner Meinung nach entdecken gerade viele Menschen der älteren Generationen, die mit der Handschrift aufgewachsen sind, ihre Liebe zum Notizbuch wieder. Was mich aber besonders fasziniert, sind die Digital Natives, die zum ersten Mal zu Stift und Papier greifen. Und dabei die ganz neue Erfahrung machen, sich ohne Ablenkungen auf das Schreiben oder Zeichnen zu konzentrieren.

Unser wunderbarer Kundenservice-Mitarbeiter Felix – auch bekannt als der Mann mit 50 Notizbüchern – hat das kürzlich in einem Interview perfekt zusammengefasst:
"Eine Menge Leute in meinem Alter kämpfen mit Reizüberflutung: die Informationsflut im Internet, die Massen an Nachrichten, die man bekommt. Es lenkt einen extrem ab und verursacht Konzentrationsprobleme.
Ich glaube, dass viele daher versuchen, ihre Internet- und Social-Media-Nutzung zu reduzieren. Auf Stift und Papier zurückzugreifen, ist ein Schritt weg von den ganzen Ablenkungen. Seit ich meine Notizbücher im Freundeskreis gezeigt habe, haben einige Freunde auch damit angefangen.
Ich glaube, letztendlich lieben wir alle die Schnörkellosigkeit. Es fühlt sich einfach natürlich und richtig an. Beim Schreiben habe ich den Eindruck, dass die Tätigkeit mir wirklich ernsthaft weiterhilft. Das ewige Scrollen durch irgendeinen Müll auf dem Handy ist im Vergleich dazu reine Zeitverschwendung."
Und darum bin ich mir sicher, dass Stift, Papier und Notizbuch uns noch eine lange Zeit begleiten werden.